Zur Bestimmung der individuellen anaeroben Schwelle werden in der Sportmedizin bei Laktattests mathematische Algorithmen (Schwellenwertmodelle) angewandt. Der zentrale Parameter ist die Blutlaktatkonzentration. Worum es sich bei Laktat handelt, haben wir hier bereits erörtert. Dabei gibt es verschiedene Modelle, die seit 1970 diskutiert und erprobt werden. Alle Verfahren haben das gemeinsame Ziel, mit Hilfe eines Stufentests die „Dauerleistungsgrenze“ zu bestimmen bzw. möglichst genau abzuschätzen.
Aufgrund der unterschiedlichen Schwellenwertmodelle, sowie der unterschiedlichen Definition von „Dauerleistungsgrenze“ kann es durchaus vorkommen, dass ein und dieselbe Laktatkurve je nach Schwellenwertmodell große Unterschiede bei der individuellen anaeroben Schwelle ausweist.
Wir wollen euch nun die aktuell am weitesten verbreiteten Modelle kurz vorstellen:
Schwelle nach Mader (1976)
Der Ursprung des Konzepts liegt in der Feststellung von Mader, dass die meisten Athleten im Ausdauersportbereich eine Belastungsintensität von 4 mmol/l Blutlaktat über eine längere Zeit tolerieren können.
Die „Schwelle nach Mader“ liegt also genau an jenem Punkt, an welchem die Geschwindigkeit des Athleten die 4 mmol/l Blutlaktat Grenze überschreitet.
Schwelle nach Keul (1979)
Keul wies 1979 darauf hin, dass die fixe Schwelle von 4 mmol/l Blutlaktat aufgrund genetischer und trainingsbedingter Faktoren nicht unbedingt den individuellen Gegebenheiten entspricht. Im Mittel ist nach Keul die 4 mmol/l Schwelle korrekt. Mit diesem Hintergrund berechnete Keul die Tangentenwinkel an mehreren Leistungstests bei einem Laktatwert von 4 mmol/l. Der Mittelwert der Ergebnisse war etwa 51°. Nach Keul, der den Begriff „Individuelle Anaerobe Schwelle“ einführte, erfolgt die Bestimmung der Schwelle bei gleichem Tangentenstieg. Dies zeigt eine variable Laktatkonzentration, die je nach Athlet verschieden sein kann.
Schwelle nach Pessenhofer (1981)
Nachdem man nur sehr schwer bei fixen Laktatkonzentrationen das Training absolvieren kann, entwickelte unter anderem Pesenhofer ein Modell, welches die individuelle Laktatbildungsgeschwindigkeit berücksichtigt. Nimmt die Netto – Laktatbildungsgeschwindigkeit kontinuierlich zu so ist an deren Anfang die individuelle Anaerobe Schwelle erreicht.
Schwelle nach Simon (1981)
Geht es nach Simon kann jener Punkt, an welchem die größte Änderung der Kurvensteigung der Laktatkurve erfolgt durch eine Tangentensteigung von 45° charakterisiert werden. Da dieser Kurvenpunkt einen Umschlag des Stoffwechsels signalisiert, ist er nach Meinung von Simon als „individuelle anaerobe Schwelle“ aufzufassen. Dieses Modell ist auch unter dem Namen „Freiburger Modell“ bekannt.
Schwelle nach Stegmann (1981)
Die individuelle anaerobe Schwelle nach Stegmann ist die Tangente zur Laktatkurve von dem Punkt, an dem die Erholungskurve den gleichen Laktatwert wie zum Ende des Stufentests aufweist. Stegmann misst also das Nachbelastungslaktat mehrmals. An der Stelle an der Abbruch- und Erholungslaktat gleich sind, wird eine Tangente an die Laktat-Zeit-Kurve gelegt. Der Schnittpunkt kennzeichnet die individuelle anaerobe Schwelle.
Schwelle nach Dickhuth (1988)
Nach Dickhuth erhält man die individuelle anaerobe Schwelle durch Addition von 1,5 mmol/l auf den Basislaktatwert. Das Verfahren basiert auf der Annahme, dass der Schwellenwert, welcher in einem konstanten Abstand zum Basislaktatwert entsprechend gemessen wird, variabel auf die Veränderung der Basislaktatkonzentration reagiert.
Wie wir sehen, gibt es zwei Ansätze zur Bestimmung der anaeroben Schwelle. Fixe und individuelle Schwellenkonzepte.
Eine fixe Schwelle wird in diesem Zusammenhang durch eine Belastung (Geschwindigkeit, Leistung, Zeit) gekennzeichnet, bei der ein bestimmter Laktatwert erreicht wird. Der Laktatwert ist in diesem Fall fix, und die dazugehörigen Parameter (Geschwindigkeit, Leistung, Zeit) werden abgeleitet.
Bei der individuellen anaeroben Schwelle hingegen stellt sich ein Gleichgewicht aus Laktatbildung und Laktatabbau ein.
Im laufe der Zeit kristallisierten sich bei fixen Schwellen Probleme heraus. So waren die abgeleiteten Intensitätsbereiche für nur gering trainierte Athleten zielführend, besser austrainierte Athleten allerdings wurden zu stark belastet. Auch nehmen die fixen Schwellen keine Rücksicht auf individuelle Unterschiede im Stoffwechsel des Athleten. Dies kann in weiterer Folge dazu führen, dass es zu einer falschen Leistungsbeurteilung kommt.
Der wissenschaftliche Diskurs über die verschiedenen Schwellenkonzepte ist noch nicht abgeschlossen. Verfechter der jeweiligen individuellen Schwellenkonzepte wollen ihr Konzept als die „wahre Schwelle“ beweisen.
Für veraltet werden mittlerweile aber schon die Modell mit fixen Schwellen angesehen. Diese Modelle weisen zu viele Abhängigkeiten, wie etwa die Ernährung, Vorbelastung, Anfangsbelastung oder auch das Belastungsschema auf. Dennoch wird vor allem das „Modell nach Dickhuth“ relativ häufig angewandt. Ein Grund hierfür könnte sein, dass die Bestimmung der „Dickhuth“ Schwelle relativ einfach ist. Aus sportmedizinischer wie auch trainingswissenschaftlicher Sicht erscheint das Modell aber fragwürdig.
Die nackten Zahlen, die man nach manch einem Laktattest präsentiert bekommt, sollten also durchaus kritisch hinterfragt werden. Vor allem sollte das Berechnungsmodell bekannt sein. Vergleiche zwischen den einzelnen Schwellenwertmodellen sind nicht zielführend. Wegen der möglichen individuellen Unterschiede im Laktatverhalten sollten laktatorientierte Trainingsempfehlungen zumindest in Einzelfällen unter Feldbedingungen überprüft werden.