Gestern hatten wir die Diskussion, „Tut ein Knochenbruch weh“? „Muss man bei einem Krampf schreien?“ etc. Das ist ein ergiebiges und fruchtbares Thema. Eigentlich willst du einen „harten Hund“ spielen und über deine Grenzen gehen, schließlich bist du Triathlet, aber die eigenen Kinder finden einen wehleidig. Oder theatralisch, weil ich bei Schmerz meist schreie, oder beides, wehleidig und theatralisch. Alles muss in die Welt hinausposaunt werden – Freude, Leid und dann wieder Leid und Freud`.
Nehmen wir den Geburtsschmerz – den habe ich erstens viermal verspürt und zweitens kann ich den sehr wohl mit einer Halbdistanz (70.3 Meilen) und vor allem mit dem Überqueren der Ziellinie verglichen. Vorbereitungszeit – ca. dieselbe, denn neun Monate zuvor (außer für Spätberufene) weißt du normalerweise schon, dass du etwas (anfänglich) schier Übermenschliches tun willst. Dasselbe gilt für Marathons, obwohl ich da eine Ausnahme darstellte. Drei Stunden vor Nennschluss stellte ich fest (ich hatte das Overall-Klassement eines Laufes in Niederösterreich gewonnen), dass ich meinen ersten Marathon rennen will und meldete mich an.
Der Moment, wo du „blau“ bist, also der „Mann mit dem Hammer“, von dem alle erzählt hatten, blieb aus und ich war fast ein wenig enttäuscht. Aber andererseits sah ich Blut durch meinen Schuh sickern (bei km 15) und am Ende des Tages waren beide Vorfüße von sechs Blutblasen rot. Verglichen mit Triathlon fand ich Marathonlaufen etwas langweilig – und keine/r wird mir das glauben – die 3:34 beim Marathon lief ich ohne spezielles Training aus dem Training heraus. Für den Ironman hingegen hatte ich ein dreiviertel Jahr vorher konkrete Pläne im Kopf und vor allem konkrete Zielzeiten auf dem Trainingsplan. Der sah mehr nach Quantität als nach Qualität aus, sodass die Trainingsumfänge, „durch 2 dividiert“, noch ausreichend waren.
Der Überlegungen vor meinem ersten Ironman gab es etliche: wie wird es mir beim Schwimmen ergehen? Wie werden die 90km auf dem Rad sein, wo ich doch noch nie 90km gefahren war. Rückwirkend gesehen ging es mir ein Drittel der Radkilometer lang sehr schlecht, weil ich „vom Rad herunterspieh“, wenn man sich das bildhaft vorstellen darf. Aber ein Deutscher (natürlich googelte ich seine Endzielzeit – langsamer als mein Mann) rief mir beim Überholen auf dem Rad „Will you marry me?“ zu, was mich die restlichen 60 Radkilometer beschäftigte und so waren die Welt und mein Schlechtsein wieder bald in Ordnung. Auf einer der Anstiege matchte ich mich mit einer meiner Altersklasse (dachte ich), doch am Ende des Tages sah ich W 24 (handgeschrieben?) auf ihrer Startnummer. Am Ende dieses Anstiegs erwarteten mich ein Teammitglied – mit seiner Kamera bereit – und einige Kollegen anderer Vereine, vor denen ich mir keine Blöße geben wollte.
Im Zielgelände holte ich dann mir bei den Zusehern den wohlverdienten Applaus ab, denn vor der Wechselzone häuften sich die Zuseher. Als ich dann auf den Halbmarathon ging und beim Zielbogen vorbeilief, feuerte mich eine Bekannte lautstark an, was mich anpeitschte. Ein wenig beneidete ich die, die sich nach 21km schon auf dem Weg zum Ziel befanden, „Aber was soll’s“, dachte ich mir. „Jetzt musst du’s nur mehr heimrennen“, schrie mir der Trainer zu, wofür ich ihm heute noch dankbar bin. Ein paar kompromittierende Fotos schoss er auch noch – Elke in „slow motion“.
In der zweiten Laufrunde ging es schon etwas geschmierter und irgendwann registrierte mein Gehirn „Ich glaub‘, ich hab’s fast geschafft“ und schüttete die restlichen Endorphine aus. 20km der Laufstrecke waren schon absolviert – eine Laufstrecke rund um den Ratzersdorfer See, mit der ich noch eine Rechnung offen gehabt hatte, nachdem ich dort einen Halbmarathon vor Schmerzen in der Achillessehne aufgegeben hatte.
Geburtsähnlich ist sicher, dass du während eines Ironmans Höhen und Tiefen erlebst und in einem Meer an Gefühlen badest. Ein wenig peinlich war, dass mir Bekannte aus anderen Vereinen mit schon ausgechecktem Rad entgegenkamen, als ich vor dem Stadion den letzten kleinen Hügel im Eilschritt erklomm. Dann das Highlight: als mich der Moderator anmoderierte und mir seine Hand für „High Five“ entgegenstreckte, meinen Namen ankündigte und spaßhalber „You are an ironwoman!“ sagte – das war Himmel auf Erden!
Wie lange hatte ich mir diesen Augenblick ausgemalt. Er erinnerte mich an die Geburt meiner ersten Tochter, wo sie sich schon auf der Zielgeraden befand und die Hebamme mir zuraunte: „Schauen’s, die Haare sieht man schon!“ Wenn dich deine Kinder traurig machen (und das tun sie in der Pubertät oft), dann erinnere ich mich an diese schönen Augenblicke, in denen Schmerz und Freude eng verbunden sind. Wahrscheinlich gehört der Schmerz dazu, damit die Freude so intensiv erlebt werden kann.
Ein halbes Jahr danach trug ich in der Schule ständig meine zwei „Ironman-shirts“, bis ein Schüler einmal fragte, „Frau Professor, warum haben Sie immer diese zwei Leiberl an?“ Als ich ihm davon vorschwärmte, wie lebensverändernd die Distanzen 1,9km swim, 90km bike und 21,1km run seien, meinte er, „Was, alles an einem Tag?“ Ähnlich erging es mir bei meinem Postmarathon-Gefühlen: Yes, I did it, noch dazu in 3 Stunden und 34 Minuten! Man kann es nicht mit Worten ausdrücken, es auch keinem erklären. Es sind dies, simpel ausgedrückt, Erfahrungen, die dir keiner nehmen kann und die Erinnerung an etwas schier Übermenschliches, das einige Zeit der Vorbereitung bedarf und dessen Ende man schon lange vorher versinnbildlicht und verinnerlicht hat. Ein wenig liefen mir Tränen über’s Gesicht, als ich ins Ziel kam und mich die Dame für ein Foto auf die Seite nahm. Ich spürte keine Müdigkeit, jegliche Schmerzen waren wie weggeblasen. Das einzige was überwog, war das Gefühl: so etwas musst du ziemlich bald wieder erleben, das ist ja irre!