Es ist schwer, Triathleten für einen Blog über Schifahrer zu begeistern, wo doch die meisten Triathleten maximal langlaufen. Aber es geht nicht um irgendwen hier. Es geht um wen, der Einbußen um ein Viertel Nightrace-Besucher heuer durch sein Fehlen bewirkt hat und der das Thema Skifahren im Fernsehen heuer zur Nebensache degradieren ließ. Zunächst machte ich Witze wie „Jahr 1 nach Hirscher“, aber mittlerweile traue ich mich hochoffiziell behaupten: Hirscher, du fehlst uns. Ich las Hirschers Biographie von hinten nach vorne. Das geht bei Biographien. Was tut ein Hirscher jetzt mit seiner Zeit, interessiert mich mehr als seine Kindheit.
Auf dem Foto ist einer zu sehen, der auch viel auf der Reiteralm trainierte, nämlich Henrik Kristoffersen. Wir nennen ihn nur den H.K. An dem Tag, als das Foto entstand, wollten sich unsere Kinder ein Autogramm von ihm holen, doch er lief einfach davon. Einer, der viel professioneller mit seiner Popularität umgehen konnte, war der Marcel [von seinem Vater „Massel“ ausgesprochen]. Von da an gehörte ihm unser Herz. Aber nicht nur unser Herz gewann er, auch die einer ganzen Skination, ohne Übertreibung. Während andere Sportler sich manchmal unsympathisch machen oder einfach weniger Sympathieträger sind, habe ich noch nie jemanden getroffen, der den Marcel Hirscher nicht mochte. Laut unserem Freund Othmar gibt es A-B-und C-Promis. Obwohl er sicher zu den A-Promis gehörte, hat er sich seinen Fans gegenüber nie präpotent oder überheblich verhalten.
Einmal mehr beobachtete ich den Hirscher, als er beim Training auf der Reiteralm abschwang und, noch keuchend, gleich ein paar Autogramme schrieb. Da sagte ich zu ihm: „Ich finde das ganz professionell, wie Sie das machen, runtersausen im Training und nebenbei 100 Autogrammwünsche erfüllen!“ „Ich winschat, ich kundats no besser!“ war seine Antwort, in ziemlich unverständlichem Salzburgerisch.
Das war er. Marcel Hirscher, immer noch nach mehr Professionalität strebend. Das erste Mal bekamen wir von ihm Wind, als ich auf der Reiteralm 2012 aus der Gondel auf die Piste sah und eine grüne Mütze beim Interview erblickte. „Hearst, ist das nicht der Hirscher, der da unten grad vom ORF interviewt wird?“ „Geh, das ist doch Planai TV!“, meinte meine Familie. Stimmte gar nicht. Am Abend sahen wir schon das Interview im Sport, da begann er gerade mit den Speedbewerben. Am nächsten Tag bekamen wir alle von ihm Autogramme und ein lässiges Familienfoto. Mir unterschrieb er auf meiner Reiteralm-Weste – seit damals ungewaschen. Das Emotionalste erlebte ich von ihm bei der WM in Schladming, als er nach seinem Sieg 2013 eine Punktlandung auf dem Bauch in den Schnee hinlegte – eine ganze Nation hätte ihn gekillt, wäre er nicht Erster geworden. Bei der WM schaffte er es auch noch, mit einem Hoodie von einem Kapuzensweater getarnt, durch die Stadt zu marschieren, mit Blick auf den Boden gerichtet. Nur wir erkannten ihn.
In Uni-Nähe sah ich ihn einmal, als er an einem Würstelstand interviewt wurde, aber sonst immer nur auf der Reiteralm. Einmal traf ich dort auch die ganze norwegische Mannschaft und nachdem mir nie etwas peinlich ist, setzte ich Jans Helm auf und Svindal, Haugen und H.K. verewigten sich auf dem Helm. Wir trafen den Hirscher auch gemeinsam mit anderen Österreichern und Österreicherinnen trainieren, aber um ½ 10 bis 10 Uhr am Vormittag räumte er bereits wieder die Piste auf der Reiteralm und weg war er.
Von unseren Treffen besitze ich noch eine Menge gestellter Fotos und Schnappschüsse, ihn von der Seite zeigend, als er meinen Kindern Autogramme schrieb oder im Bildhintergrund stehend, wo er oft, vom Ferdl und den Betreuern abgeschirmt, Details nach den Schwüngen, die Reiteralm hinunter, besprach. In den folgenden Jahren war er stets seinen Fans treu, nach acht bis neunmal „Hirscher-Schauen“ sah ich mir nur mehr die Kinder an, die zu ihm hin pilgerten. Eine Kinderjacke mit seinem Autogramm schenkte ich einem befreundeten Mädchen, das stets versuchte, ihn zu treffen, ihn aber nie zu Gesicht bekam.
Die Distanz zwischen ihm und uns wurde jedoch, genauso wie die Absperrung zwischen seinem Trainingskurs und den Zusehern, immer mehr und mehr verlängert. Bei den folgenden Fotos nahm er bald nicht mehr seine Schibrille ab (wahrscheinlich um sie vor dem Anlaufen zu schützen). Dazwischen versuchte ich einmal parallel zu ihm die „Finale Grande“ auf der Reiteralm runter zu fahren, um dabei seine Geschwindigkeit zu sehen, doch ich stürzte und verstauchte mir den Daumen, der mir dann eine ganze Skisaison wehtat.
Auch bei dem Nightrace in Schladming war er jedes Jahr Favorit und konnte seiner Favoritenrolle gerecht werden. Dass Schneebälle auf weniger große Sympathieträger flogen, soll nicht unerwähnt bleiben und dass man vor lauter Bengalischen Feuern fast keinen Hirscher runterfahren sah, auch nicht. Er hätte es eigentlich nicht mehr nötig gehabt, um seine Fans zu buhlen, war er sowieso der auserkorene Superstar.
Mein Triathlontrainer sagte einmal, dass ein sehr talentierter sich auf sein Talent verlässt und am Anfang dadurch großen Vorteil hat. Der brave Trainierer hat zunächst einen Nachteil und kann aber durch das konsequente Trainieren bald das große Talent, das weniger trainiert, einholen. Der Talentiertere gerät so bald ins Hintertreffen. Was bei Hirscher wirklich so toll war, ist, dass er den braven Trainierer und das Supertalent in einer Person vereinte.
Das letzte Treffen war 2019, als Hirscher für einen Parallelbewerb auf der Reiteralm trainierte und die Hand zum Gruß hob, als ich was zu ihm hin schrie! In seinem Blog bedankt er sich bei seinem „Team Hirscher,“ das ein ganz riesig großes war und ohne das nichts möglich gewesen wäre
Heute hörte ich noch von einem Rücktritt: Hans Knauss – den triffst du in Schladming natürlich auch. Jetzt kann ich nur vorschlagen – Marcel, könntest du nicht die Kamerafahrten übernehmen…….