Nicola Spirig hat viel mehr erreicht, als sie sich jemals erträumt hatte. Olympiagold 2012 in London, Olympiasilber 2016 in Rio, drei Olympiadiplome, sieben Europameistertitel und mehrere WM-Medaillen. Schon in jungen Jahren gewann Spirig Nachwuchspreise, Junioren-Titel und vieles mehr. 2012 wurde sie Schweizer Sportlerin des Jahres. «Ich hätte nicht mal zu träumen gewagt, dass ich meine Karriere so lange auf so hohem Niveau fortführen kann und ich bin unendlich dankbar, dass ich so viel Schönes erleben durfte», so die 40-Jährige aus Bachenbülach/ZH.
Die studierte Juristin und Mutter von drei Kindern hat sich schon früher mit dem Thema Rücktritt befasst: «Nach dem Olympiasieg 2012 und nach den Olympischen Spielen 2016, als unser erstes respektive zweites Kind geboren wurde, dachten mein Mann und ich intensiv über meinen Rücktritt nach. Rückblickend bin ich froh, dass ich noch zehn weitere Jahre beim Spitzensport bleiben sowie viele schöne Erfahrungen, Erfolge und Erinnerungen sammeln durfte. Nun ist jedoch für mich und meine Familie der ideale Zeitpunkt für den Rücktritt gekommen.»
Spirig gehört seit Jahren zur absoluten Weltspitze, kann eine so erfolgreiche Karriere wie kaum eine andere Sommersportlerin vorweisen und ist dankbar für alles, was sie durch den Sport erleben durfte: «Meine Karriere war aussergewöhnlich lang. Nur dank meinem Ehemann, meiner Familie, meinen Sponsoren und dem ganzen Umfeld war es möglich, dass ich so lange an der Weltspitze mithalten konnte und ich immer grosse Freude und Begeisterung für meinen Sport aufbringen konnte.»
Auch Rückschläge konnten daran nichts ändern. Zum Beispiel erlitt sie vor den Olympischen Spielen 2016 bei einem Sturz in einem Wettkampf eine schwere Handverletzung mit entsprechend langer Rekonvaleszenz – aber mit Happyend: der Silbermedaille in Rio. Zuletzt stürzte sie vor wenigen Wochen, Ende Februar, bei einer Velofahrt schwer, brach sich mehrere Rippen und das Schlüsselbein, welches operiert wurde.
Noch eine letzte sportliche Herausforderung
Die Reaktion von Spirig auf die jüngste Verletzung: «Das wirft mich im Fahrplan für mein nächstes und gleichzeitig letztes sportliche Grossprojekt Sub8 gewaltig zurück. Aber ich schaue nach vorne und werde alles tun, so fit wie möglich Anfang Juni am Start zu stehen.»
Der Wiederaufbau der Form ist denn auch auf gutem Weg.
Beim Sub8-Projekt, durchgeführt von der Pho3nix Foundation, geht es um Folgendes: Bei idealen Streckenbedingungen und der Hilfe eines Teams von 10 Pacemakern/innen versuchen zwei Frauen unter acht und zwei Männer unter sieben Stunden, einen Ironman zu bestreiten. Ein Weltrekordversuch vergleichbar mit dem Projekt von Olympiasieger Eliud Kipchoge, die Marathondistanz unter der magischen 2-Stunden-Grenze zurückzulegen.
Direkt nach ihren fünften Olympischen Spielen in Tokio hat Spirig deshalb die Trainingsgestaltung auf die Langdistanz ausgerichtet und den Trainingsumfang massiv erhöht. «Schon vor dem Velounfall war der Zeitplan ambitioniert, denn es braucht normalerweise mehr als zehn Monate, um von der olympischen Distanz kommend einen Rekordversuch auf der Langdistanz vorzubereiten. Aber genau das ist der besondere Reiz an diesem Projekt. Es ist fast unmöglich ist und darum eine riesige Herausforderung.»
Spirig will zusammen mit Pho3nix im Rahmen dieses Weltrekordversuchs auch auf die Wichtigkeit von Sport im Leben von Kindern aufmerksam machen. «Wir wollen aufzeigen, dass man sich Ziele setzen und Grenzen verschieben kann, aber auch ein Scheitern nicht schlimm sein muss, weil man genau dadurch lernen und besser werden kann.» Zusammen mit der Pho3nix-Foundation baut die Olympiasiegerin auch den von ihr lancierten Kids Triathlon und ihre eigene Stiftung aus. «Wir möchten vielen Kindern den Zugang zu sportlicher Betätigung ermöglichen und sie dadurch wertvolle und positive Erfahrungen machen lassen.» Der Kids Triathlon wird seit 2014 kontinuierlich ausgebaut und findet dieses Jahr in der Schweiz bereits an 10 Orten statt.
Nicola wird nach Sub8 noch weitere Rennen bestreiten. Der genaue Wettkampfplan steht allerdings noch nicht fest. Ende Saison geht ihre Triathlon-Karriere aber definitiv zu Ende.
Die Saison 2022
Nicola Spirig steigt nach ihrem Unfall verspätet in die Saison ein. Anstelle von einem Ironman 70.3 im März in Dubai startet Spirig nun über die 42,195 Kilometer beim Marathon in Zürich vom 10. April. «Zürich passt sehr gut in meine Vorbereitung. Das Ziel ist am Sonntag nicht, einen extrem schnellen Marathon zu laufen, sondern meine Beine an diese lange Distanz zu gewöhnen. Es wird ein erstklassiges Training unter Wettkampfbedingungen und ich schätze es sehr, dass ich ohne Aufwand direkt von zu Hause anreisen kann.»