Vom Mainstream ver-rückt. Aus dem Zentrum entrückt. Eine, die mich total fasziniert, weil sie immer den Weg, der ent-rückter war, einschlug, ist die Ausnahmesportlerin Kate Allen – ihr möchte ich meinen nächsten Blog widmen.
Die Reaktionen auf meine Blogs haben mich allesamt erfreut: all jenen, die vom Sportland Niederösterreich im Finishline aufgestellt sind, alles Gute für die Saison 2020. Allen, die meine Dopingbeiträge interessant fanden – irgendwann plaudern wir ausführlich darüber und sorry über meine kurze Angebundenheit. Allen alteingesessenen Triathleten, die mir die Frage zuwarfen – ob ich unter die Schriftsteller gegangen sei – nein, ich schrieb schon immer gern. Und vier Seiten lesen bei diesem Wetter in der Off Season – come on! Und die netteste Erwiderung auf meine Beiträge ist wohl die, dass uns ein Ehepaar beim Südkärntentriathlon wie alte Bekannte begrüßte. Wir kannten uns nicht, kennen uns zumindest jetzt und sehen uns hoffentlich bald wieder.
Erneut blättere ich meine Triathlonzeitschriften durch, auf der Suche nach einem spannenden Blog, nach etwas, das euch auf dem Herzen liegt, und mir euch mitzuteilen. Da sticht mir das Bild der Triathlonlegende Kate Allen bei den Olympischen Spielen in Athen ins Auge – Botschafterin des Triathlons, als für manche Triathlon noch in seinen Kinderschuhen steckte.
Heimat, bist du großer Söhne und Töchter – zugleich fällt mir einer der packendsten Zielprints in der Geschichte des Triathlons ein, als Kate Allen nach dem Radsplit auf Platz 28. in einer unheimlichen Aufholjagd gewann. Ihre Autobiographie habe ich verschlungen (Allen, Kate. 2005. 2:04:43. Eine Weltreisende am Olymp. Autobiographie. Aufgezeichnet von Florian Madl. Wien: Styria Pichler Verlag. (Danke, Markus, es gab kein besseres Geschenk für einen AG-Duathlon-Cupsieg!).
Kate Allens Autobiographie hat mich drei Sachen gelehrt: erstens.) du darfst dir deine Ziele nicht zu niedrig stecken; zweitens.) du musst sehr, sehr fokussiert sein und drittens.) du musst schon ein wenig verrückt sein, wenn du das dann so durchziehst. Im Training schlief sie einmal nach einem Megaradtraining bei den abschließenden Stabiübungen auf dem Hotelkorridor ein, bis der Ehemann sie fand.
Kate Allen kam von einer Schaffarm in Teesdale, einem kleinen Ort im Südosten Australiens – von wo sich die unbekannte Kate Allen als Lauftalent, Klavier-Verweigerin und Weltreisende einen Namen als Triathletin machen sollte. Sie kam vom Laufen und konnte bei den Olympischen Spielen in Athen das gesamte Olympiateilnehmerinnenfeld von hinten aufrollen. Nach ihren „wilden“ Unijahren fand sie Halt bei ihrem Ehemann und ihrer Leidenschaft, dem Triathlon. Während Australier nach eigenen Angaben (wie bei ihrem ersten Triathlon in Kirchbichl, Tirol) fragten, ob sie vom Startgeld befreit werden würden, brachte ihr Platz 4 dort erstmalig ein Preisgeld von damals 1000 Schillingen ein. Zu gut kannte sie ihre Spesenrechnung (Hotels, Flüge, …), was sie beinahe straucheln und ihr Profidasein fast aufgeben ließ. Sie war auch nie „Mainstream“, hat dafür Repressalien einstecken müssen, so erhielt ihr österreichischer Ehemann und Trainer keine Akkreditierung für die Spiele in Athen als „Revenge“ für ihre offensive Form der Eigen-PR, wie Allen schreibt. Doch – wie im Sport mit einem unbändigen Siegeswillen ausgestattet, überwand sie sämtliche Schikanen, hielt „wirtschaftlich“ durch und schaffte das schier Unmögliche: Sieg bei den Olympischen Spielen.
Ich bin mir bewusst, dass im Internet zig-Blogger über optimale Sporternährung, Kona-Erfahrungen, etc. bloggen. Momentan fasziniert mich ein Interview mit Svenja Thoes im Netz, die heuer als Rookie in Kona an den Start gehen will. Ein fiktives Interview, nicht minder interessant, könnte ich mit Kate Allen geführt haben. Dabei ist ersichtlich, dass sie – auch wenn sie um Klassen besser war als der 0815-Triathlet – mit ähnlichen Problemchen (Brille) wie unsrereins bei einem Triathlon kämpft und sie ähnliches während des Rennens beschäftigt (ihre Konkurrenz).
Wie ist es dir bei deinem wichtigsten Rennen in Athen damals ergangen?
Wir [Athletinnen] freuten uns, endlich unter uns zu sein. Jetzt, wo 15 Monate harten Trainings in einem einzigen Rennen gipfeln und der ganze Druck in zwei Stunden der Vergangenheit angehören wird. Plötzlich kam Bewegung in die wartende Menge. Soll das der Aufruf des Starters gewesen sein? Offensichtlich, nur ich … das hab‘ ich glatt überhört. Der Startschuss. Die Nervosität wich beim Sprung ins kühle Nass wie die Müdigkeit dem unausstehlichen Klang des Weckers nach einer langen Nacht. Mein erster kleiner Sieg – die Brille hielt, kein Wasser in den Gläsern. Besser könnte es nicht laufen. Ich befand mich plötzlich mitten unter den schnellsten Schwimmerinnen. Ruhig bleiben, Kate! Neben mir Nicola Spirig [Schweizerin, auch bereits Mama, sie kam beim ITU Grand Finale in Lausanne heuer unter die Top-Ten der Frauen-Elite, Anmerkung E.S.]. Wir kennen uns seit langer Zeit, unsere Schwimmzeiten liegen stets knapp beieinander. So falsch kann ich also nicht liegen, wenn Nicola neben mir krault. […] Es lief alles so gut. So gut, dass dem perfekten Schwimmen ein perfekter Wechsel auf die 40 olympischen Radkilometer folgte. Ich schwang mich in der Wechselzone auf mein Rennrad und strampelte los. Wie ein Bienenschwarm nahm unsere 20-köpfige Gruppe die Verfolgung auf. Immer konzentriert, stets darum bemüht, Fehler zu vermeiden und in keinen Sturz verwickelt zu sein. Man muss ständig auf der Hut sein, denn Übereifer bringt niemanden weiter. Klar, wir Verfolger sind 2:01 Minuten von den Medaillen entfernt.
Wer sind „wir“?
Meine Mitstreiterin Nicola Spirig und ich. So manches Mädchen stellte ab. Im Fachjargon meinen wir damit Kolleginnen, die das Tempo nicht mehr hochhalten wollten, desillusioniert, weil ohne Erfolgsaussichten. Wir müssen was tun, um nicht ins Hintertreffen zu gelangen. Sollte ich vor dem abschließenden 10 Kilometerlauf tatsächlich 3 Minuten zurücksein, platzt mein Traum vom Spitzenplatz wie ein spröder Reifenschlauch – eine einfache Rechnung. Ich trat an, warf meine ganze Kraft in die Pedale. Nur nicht zu viel Rückstand auf die Spitze aufreißen, denn im Laufen war sonst alles verloren. Ich kämpfte, Tritt für Tritt, Meter für Meter. 37, 38, 39 Kilometer. Ich näherte mich der Wechselzone bei Kilometer 40, rutschte ans Ende des Feldes. Oh Gott! Niemand geht als Schlusslicht in die Wechselzone. Ein Anfängerfehler, der noch teuer zu stehen kommen kann. Die Hitze beim Laufen machte mir nichts aus. Dort vorne müssten sie sein, meine davoneilenden Konkurrentinnen. Wie ein Matrose auf dem Aussichtsmast machte ich die vor mir liegende Läuferin aus.
Wie verlief dieses Olympiarennen?
Nach einer Schrecksekunde in der Wechselzone [sie hatte nicht gleich ihren Wechselplatz gefunden, Anm.E.S.] kam das Laufen einer Wohltat gleich, mein Terrain, mein Metier. Ich kann agieren, bin auf keine wie immer gearteten Energieanfälle meiner Gegnerinnen angewiesen. Die physikalische Sogwirkung, der im Radfahren unabdingbare Windschatten, verlor seine Bedeutung. Nur mehr ich und der Boden. Ich horchte in mich hinein, konzentrierte mich auf den Kurs. Nur immer am Limit bleiben, bergauf, bergab. Meter sparen, Kurven schneiden, nichts herschenken. Die letzte Runde, noch immer habe ich trotz zahlreicher Überholmanöver einen Rückstand von 1:14 Minuten auf die Spitze. Ich laufe, nichts ahnend, meinen Konkurrentinnen hinterher. Meine Schuhe klatschen wie ein Metronom auf die Straße. Ich liebe diesen Rhythmus. Fünfte, immer noch mit dem Hochgefühl einer Verfolgerin, die nichts zu verlieren hat und trotzdem mehr als 5. werden will. 1.2.1.2.1. [ihr wurde absolut keine Medaille prophezeit und monotones Laufen hatten sie die Weltreisen gelehrt, Anm. E.S.]
Ab wann hast du mit einer Medaille spekuliert?
Medaille in Sicht! meinte ich nach fünf von zehn Kilometern und dabei geht es vorerst nur um Platz 4 – bei Olympischen Spielen der erste Verlierer. Wer wirklich fit ist, wird bald Tempo machen! spekulierte ich und fühlte mich bei diesem Gedanken wirklich hervorragend. Es lief sich einfach: 1,2,1,2,1,2…….Die neben mir laufende Italienerin bereitete mir augenblicklich die einzigen Sorgen. Wie lange würde sie mithalten? Kann sie noch zulegen? Ihr Atem klang zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr rhythmisch, sie wirkte gestresst. Ich legte zu und erhöhte die Frequenz und langsam wurden ihre Atem- und Laufschuhgeräusche leiser, bis sie kaum noch zu hören waren. Ich flog förmlich ab, an meine Konkurrentin verschwendete ich keinen Gedanken mehr. Jetzt lagen alle hinter mir – aber ich weiß nicht genau, wievielte ich bin. 3. oder vielleicht doch nur 5.? Noch vier Kilometer und dann kann ich es mit Bestimmtheit sagen. Nein, ich bin nicht nervös, aber ich kann’s nicht glauben: Ich will doch nur wissen, an welcher Stelle ich in diesem Olympiatriathlon im Augenblick gereiht bin. Keiner gibt mir Informationen.
Ich rief den Leuten zu: „Wo liege ich?“ – keine Antwort. Sie schienen mich nicht zu verstehen, wollten mir stattdessen Mut einflößen und feuerten mich an: „Go, Kate!“ Niemand war da und mein Mann schien meine einzige Hoffnung: „Silber geht sich aus, Kate“, rief er mir zu. Oh Gott! Zuerst sollte ich hinten angereiht werden, jetzt wollte er mich zu einer Medaille pushen: „Du liegst 15 Sekunden hinter Silber“, schrie er mir zu. Die Bestätigung folgte, als ich meine Konkurrentin in Sichtweite hatte. Ich rechnete mit keiner Gegenwehr. Ich dachte nicht nach, schon gar nicht über Platz 1. Das schien ohnehin außer Reichweite – exakt einen Kilometer vor Schluss lag ich genau 39 Sekunden hinter der Führenden. Jetzt war es mein Mann, der mir Beine machte: „Sie ist am Ende, du kannst sogar noch Gold holen.“ Ich fühlte mich prächtig. Aber mit dem Gedanken, sie einholen zu können, spekulierte ich nicht, 1,2,1,2,1.
Wann hast du den „Deckel“ dann zugemacht?
Da vorne lief die Führende. Unrhythmisch wirkte sie, wie sie sich in ihrem australisch-grünen Anzug auf der langen Geraden nahe der griechischen Küste vorwärts bewegte. Nicht wirklich flüssig. Keine aus der Not geborene Erkenntnis, sondern die nüchterne Feststellung nach 30 Jahren sportlicher Gebärdensprache. Noch 500 Meter, noch 400, 300. Die Australierin dreht sich um, sieht mich. Ihren Augen entnehme ich Entsetzen, Enttäuschung, nüchterne Erkenntnis. Es folgt keine Reaktion, kein Aufbäumen, sie macht schlichtweg nichts. 200 Meter vor dem Ziel. Ich habe sie unmittelbar vor mir – an jener Stelle, die mir in meinen Tagträumen stets als die entscheidende erschien. Ich stürme näher, fliege förmlich an. Ein Gefühl, als würden mir Flügel wachsen und ich weiß zum erstenmal: Ich kann Gold holen, noch 150 Meter.
Ein eigenartiges, zugegebenermaßen schlechtes Gefühl überkam Allen, als sie die Führende überholte, die zwei Stunden geführt hatte. Die nun Zweitplatzierte weinte vor Enttäuschung und Erschöpfung im Ziel. 6,72 Sekunden hatten ihr am Ende des Tages zum Sieg gefehlt.
„Bitte trinken Sie das! Damit geht es bei der [Doping]Kontrolle schneller.“ In ihrer Autobiographie schreibt Allen nicht mehr ausführlich über die abschließende Dopingkontrolle. Im Jahr 2009 berichtete das österreichische Magazin Profil, Kate Allen habe bei ihrem Olympiasieg 2004 unerlaubt ein Asthmamedikament eingenommen. Bei einem nach dem Rennen durchgeführten Dopingtest wurden zwar keine verbotenen Substanzen festgestellt, Kate Allen hatte aber gemäß der Anti-Doping Richtlinien angegeben, ein Asthmamedikament eingenommen zu haben. Sowohl dem Österreichischen Triathlonverband wie auch der ITU und dem ÖADC lag die für die Einnahme von Asthmamedikamenten nötige Ausnahmegenehmigung vor, diese wurde aber von den Verbänden nicht an das ÖOC oder das IOK weitergereicht. Das IOC akzeptierte das nachgereichte Attest nicht, weil es die Methode nicht anerkannte, mit welcher Kate Allens Lungenfacharzt Asthma diagnostiziert haben wollte. Nach Intervenieren der Betreuer des österreichischen Olympiateams erhielt Kate Allen dann aber doch die Möglichkeit, den Provokationstest am Tag nach ihrem Sieg nachzuholen.
Dieser Test bestätigte schließlich die Asthmaerkrankung und berechtigte die Athletin zur Einnahme von Asthmamedikamenten. Kate Allen klagte das Magazin Profil wegen einer Urheberrechtsverletzung im Zuge der Berichterstattung um die Ereignisse in Athen. Nach Abgabe einer Unterlassungserklärung und gegen Zahlung einer Geldsumme durch das Magazin einigten sich die Streitparteien schließlich außergerichtlich.